Sonntag, 13. Mai 2012

Spekulation zur Urheberrechtsdiskussion

Spekulative Fantasie über Zusammenhänge, die es vielleicht gibt oder auch nicht. Ein historisch-literarisches Gedankenexperiment mit utopischem Ausgang.

Am Anfang war das Netz

und davor, wie bei jeder grossartigen Entwicklung Vorstufen des Netzes. Wer erinnert sich noch an Compuserv? Grossartige Pioniere, die in Gesellschaft etlicher Anderer als Leichen den Siegeszug des Grossen Netzes säumen. Die meisten der Pioniere haben den Anschluss an die Technologie verpasst, deren Grundstein sie selbst gelegt haben. Man kann das tragisch nennen, eins ist es sicher - konsistent.

Irgendwann, bereits in den kleinen, dezentralen Netzen, die oft noch einzeln per Modem angewählt wurden, wuchs die Erkenntnis, dass digital nicht ärmlich ist. Diskussionsforen, Elektronische Post, Datentauschplätze. Alles wuchs in aller Öffentlichkeit heran, von selbiger nicht selten belächelt, zu dem was man heute Internet nennt.

Man kann durchaus argumentieren, dass speziell der Transport von Wissen der Entwicklung des Grossen Netzes besonderen Vorschub geleistet hat. Wissenschaftliche Daten, wissenschaftliche Arbeiten, Informationssammlungen, Zugriff auf viele Formen digitalisierter Arbeit.

Schon früh wurden Daten transportiert: Bilder, Töne, Filme, Bücher und andere Formen urgehobener Dokumente. Was wirklich den grossen Durchbruch des Netzes herbeiführte wird für immer ein Punkt grossartiger Spekulation bleiben.

Letztlich, am Anfang meiner Thesen, entstand das Internet, dass für einige Bevölkerungsschichten noch heute als Tummelplatz von Nerds und kontaktscheuen Pickelträgern betrachtet wird, zunehmend auch als "Rechtsfreier Raum" oder als Tummelplatz von Extremisten, Terroristen und verschiedenen Formen illegalem Tuns.

Erkennungsmerkmal: "Ich schaue auch Internet."

Kein rechtsfreier Raum

Es gibt kein Gesetz, dass Tätigkeiten, die mithilfe des Internets organisiert werden von der Strafverfolgung ausschliesst. Wenn das Internet ein rechtsfreier Raum werden sollte, müssten spezielle Gesetze geschaffen werden, die Straftaten, die unter Zuhilfenahme des Internets durchgeführt wurden, straffrei machen. Das ist nach meinem Kenntnisstand nirgends auf der Erde der Fall.

Eine Straftat ist eine Straftat. Verwendete Medien ändern daran nichts. Der Begriff des "Rechtsfreien Raumes" ist eine Kampfparole.

Eines flüssigen Mediums

Das Internet hat bereits zu seiner Geburt wirtschaftliche Leichen aufgehäuft, ja praktisch die eigenen Wurzeln verspeist. Nämlich die, die nicht flexibel genug waren. So gab es einmal eine Firma U, die ein Patent auf ein Bilddateiformat hatte. Diese Firma hatte es verpasst, dem Markt attraktive Produkte anzubieten und kam in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten!

In Zeiten der Not werden auch eher starre Firmen erfinderisch. So kam die Firma auf die Idee, das sie für ihr Patent - trotz vorheriger gegenteiliger Zusage - plötzlich doch noch Nutzungsgebühren verlangen könnte, wenn doch alle Bilddateien im Grossen Netz ihr 'Geistiges Eigentum' nutzten. Damit hat diese Firma dem Netz und auch der Welt einen grossen Gefallen getan!

Die Forderung nach Nutzungsgebühren hatte gleich zwei positive Effekte. Ersten ersetzten viel bessere Formate in einer Art Kettenreaktion das patentbewehrte, zweitens enstand das freie Grafikformat PNG.

Ein Beispiel dafür, wie die Kreativität vieler das Internet zu einem flüssigen Medium macht.

Die Politik und das Netz

Deutsche Politiker sind Einbahnstrassen gewohnt. Der Wähler wählt, die Politiker herrschen, die Reporter berichten. Das flüssige Netz hat infolge seiner Verbreitung aber an Einfluss gewonnen. Blogger zum Beispiel begannen, unzensierte Meinungen unkontrolliert zu verbreiten. Politische Randgruppen entdeckten das Netz als Spielwiese für Ideen. Nachrichtenaustausch in privater und öffentlicher Form wurden so populär, dass selbst öffentlich rechtliche Nachrichtenfabriken das Geschehen nicht mehr ignorieren konnten. Sie selbst nutzten das Medium in geschlossener Form schon lange, aber auch sie wurden von der Wirkung des Grossen Netzes auf alle Bereiche der Gesellschaft überrascht.

Das führte zur Verunsicherung der Parteien. Das Volk gewann plötzlich an Macht. Es entstanden Dienste wie W, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, geheime aber enthüllende Dokumente aus Politik und Wirtschaft ans Licht zu bringen. Ich denke Panik ist ein zu schwaches Wort um den Effekt in Politikerkreisen zu beschreiben.

Allmählich wuchs in den Politikern die Erkenntnis, dass das Internet eine Platform der Meinungsäusserung darstellt, die nicht mehr kontrollierbar ist. Das war der Beginn der Versuche der Politiker, das Netz verstummen zu lassen. Die Liste der Versuche ist ebenso lang wie die zahl daraus resultierender Niederlagen. Das Netz ist eben flüssig.

Anstatt zu versuchen, sich selbst zu ändern, aktiv zu werden, dialogbereit, sachbezogen und ehrlich, wurde das 'Netzvolk' durch unzählige Angriffe so in Alarmbereitschaft versetzt, dass dem normalen Netzbürger rechtswidrige Angriffe gegen staatliche und wirtschaftliche Netzauftritte heute als Robin-Hood-Taten erscheinen.

Man kann sagen, die Kaste der Politiker hat durch ihr gedankenloses Handeln rechtsuntreue salonfähig gemacht. Selbst rechtstreue Bürger können sich angesichts gewisser Vorfälle manchmal nicht mehr sachlich mit Rechtsverletzungen auseinandersetzen. Gerechte Strafen für Netzkriminelle wandeln sich im Auge Vieler zu Märtyrertum.

Einmal in diesem Teufelskreis gefangen versuchen die etablierten Politiker mit Hilfe fadenscheiniger Aktivitäten endlich Kontrolle über dieses beängstigend demokratische flüssiges Medium zu erlangen. Es gibt nichts, was nicht schon dafür her gehalten hat. Kipo war lange Zeit vielversprechender Kandidat das Netz endlich an der Gurgel zufassen, zum Schweigen zu bringen. Jede technische Einheit im Netz zu kontrollieren, jede Email mitzulesen, jede private Datenübertragung zu kopieren, alles zu verfolgen und alles jederzeit abstellen zu können.

Sie haben immer noch nicht gelernt, dass das Netz flüssig ist.

Symbiotische Rechteverwerter

Rechteverwerter haben Probleme ihr immaterielles Gut zu schützen seit die Idee der Rechteverwertung entstand. Immaterielle Güter lassen sich oft leicht kopieren. Rechte lassen sich weder stehlen noch rauben, dennoch wurden beide Begriffe schon frühzeitig zu Schlagwörtern der Rechteverwerter. In China beispielsweise werden Spielfilme auf DVD für 1 Dollar von Strassenhändlern angeboten, das sind dann Raubkopien. Obgleich natürlich niemand beraubt wurde.

Gepeinigt von sinkenden Umsätzen, deren Ursache hoffentlich nie ans Licht kommt - da würde ja das Pulver im Fass nass - entwickelten die Rechteverwerter untereinander eine solidarische Kampfgemeinschaft, ein uniformes Gedankengut, dass sie konsequent davon abhielt, das einzig vernünftige zu tun: Ihr Geschäftsmodell auf die neue Technologie auszuweiten.

Noch heute würde das Erdenvolk glauben, dass im Internet Raub und Diebstahl regieren, hätte nicht die Firma A das Potential des Netzes erschlossen und in kürzester Zeit Milliarden Dollar umgesetzt.

Obwohl die Tatsachen inzwischen das Gegenteil belegen, hoffen die meisten Rechteverwerter scheinbar immer noch, dass sie durch mehr Kontrolle über die Daten mehr Geld verdienen könnten. Etwa so, wie es Leute gibt die annehmen, dass Kunden mehr kaufen wenn die Läden länger geöffnet bleiben.

Ein Vehikel musste her. Rechteverwertung hatte bereits einen schalen Nachgeschmack, der Begriff Raubkopie war abgenutzt, also bleibt nur noch ein riskanter Schritt. Die Idee vom Schutz des Urheberrechts kam auf. Das war ein zweischneidiges Schwert. Man konnte sich vorher nicht sicher sein, wie die Profiurheber auf ihre Inanspruchnahme reagieren würden. Doch Verlage haben die ökonomische Macht über 'ihre' Urheber, darum war das Risiko vermutlich gering. 

Noch bevor jemand unter den Betroffenen die neue Richtung im Kampf um das Geld der Bevölkerung bemerkte, kam es zum Schulterschluss zwischen Politik, deren Waffen inzwischen Stumpf waren, und der Verwertungsindustrie. Die Politik erkannte in der Demagogie der Verwertungsindustrie eine weitreichende Waffe gegen den Wildwuchs an Demokratie im Netz.

Die neue Bedrohung

Dem Wahlvolk wurde nun erklärt, dass es leider so sei, dass die Kultur des Abendlandes zugrunde gehe, dass - in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit immer gern zum Einsatz gebracht - tausende von Arbeitsplätzen verloren gingen, wenn dieses ungezügelte Kopieren urheberrechtlich geschützten Materials ungebremst so weiter ginge und dass die einzige Möglichkeit - "so sehr uns das leid tut" - dies einzudämmen darin bestünde, das Internet total zu überwachen. Verdachtsunabhängig jedes Telefonat aufzuzeichnen, jede Email zu kopieren, jeden Chat zu verfolgen, jeden Seitenabruf, jeden Suchbegriff zu überwachen. Die totale Überwachung eben.

Nicht erwartet hatten beide an dieser Machenschaft Beteiligte, dass ein solches asoziales, exemplarisch undemokratisches Verhalten einen solchen Nachhall hätte, dass sich eine weltumspannende demokratische Kraft aus dem Netz in der Reale Welt als Partei manifestiert.

Die Geister die sie riefen, haben sich nun als weltweit verbundene politische Kraft materialisiert.

Demagogischer Hakenschlag

Niemand hätte darauf hoffen dürfen und doch ist es passiert. Jene neue Kraft benutzte versehentlich das von der Verwertungsindustrie in einem Geniestreich eingebrachte Vokabular. Anstatt, wie technisch korrekt, die Verwertungsindustrie vorzuführen, kam es zu einer Diskussion über das Urheberrecht.

Der falsche Köder funktioniert noch heute.

Anstatt auf die Feinde der Demokratie loszugehen, gehen nun Urheber, die zurecht ihr Urheberrecht Verteidigen, gegen die Kunden der Verwertungsindustrie, die zurecht ihre demokratischen Rechte verteidigen, los. Und umgedreht.

Die Opfer der Verwerter und der Politiker zerfleischen sich nun gegenseitig, während die wahren Feinde der Demokratie an den Fäden ziehen um die Unruhe nicht abreisen zu lassen. So können sie vielleicht doch noch ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Teile und Herrsche!

Einmal mit dem Finger am Puls des Netzes, wird es zwar nicht weniger illegale Kopien im Internet geben (Dieses Problem liesse sich ohne jede Überwachung lösen - das Internet ist ja kein rechtsfreier Raum!), aber der politischer Aufruhr lässt sich vielleicht im Keim ersticken und wenn sie es noch eine Wahlperiode schaffen, schnallen die Feinde der Freiheit den Gürtel um die tyrannische Masse noch enger. Vielleicht schaffen sie es so, ihre Feinde rechtzeitig zur Strecke zu bringen und weiter ihren Selbstbedienungsladen auszunehmen bis er zusammenbricht.

Was wäre, wenn aus dem Politiker-Selbstbedienungsstaat Deutschland am Ende doch noch eine soziale, demokratische Republik würde? Das wäre wohl utopisch.

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